Vollmacht versus alleiniges Sorgerecht

BGH, 29.04.2020, NJW 2020, S. 2182

Nach einer Scheidung bleibt es oft beim gemeinsamen Sorgerecht. Wichtige Entscheidungen für das Kind werden gemeinsam getroffen, z.B. über die Schulwahl oder ärztliche Eingriffe. Wenn ständige Uneinigkeit zur Handlungsunfähigkeit führt, scheint die Übertragung des Sorgerechts auf ein Elternteil allein der letzte Ausweg zu sein. Dies stellt jedoch einen massiven Eingriff in das Elternrecht dar und darf daher nur erfolgen, wenn kein „milderer“ Weg geeignet ist, das Kindeswohl zu wahren. Eine mildere Lösung könnte es sein, wenn der Elternteil, dem der Sorgerechtsentzug droht, dem anderen Elternteil eine Vollmacht erteilt, die diesen in die Lage versetzt, wichtige Entscheidungen für das Kind allein zu treffen (s. BGH a. a. O.). Das OLG Schleswig hat in der Folge dazu entschieden, dass im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden ist, ob die erteilte Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können (OLG Schleswig vom 11.08.2020, 8 UF 27/20).

Das hat folgende Vorteile: Das gemeinsame Sorgerecht bleibt bestehen, Streit wird vermieden, und steht doch einmal eine besondere Sorgerechtsentscheidung an, kann die Vollmacht sogar widerrufen werden. Es muss lediglich hinreichend Kooperationsbereitschaft zwischen den Eltern bestehen, wenn es trotz Vollmacht einmal einer gesonderten Einverständniserklärung bedarf. Der Weg zum Gericht kann also vermieden werden. Und mit der Zeit kommt es vielleicht auch wieder zu einer Entspannung auf Elternebene.

Rechtsanwalt Maeß

Die Corona-Pandemie stellt keinen triftigen Grund für eine Umgangsverweigerung dar. Wenn es einen Umgangsbeschluss oder einen familiengerichtlich gebilligten Umgangsvergleich gibt, darf der Umgang nicht verweigert werden. Die Zuwiderhandlung kann durch Ordnungsgeld sanktioniert werden.

Umgangskontakte von Elternteilen mit ihren Kindern sind von Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie nicht betroffen, da auch Eltern in verschiedenen Haushalten zur Kernfamilie gehören. Dies gelte auch, wenn das Kind mit einer Person aus einer Risikogruppe zusammen lebt. Denn der Umgang zwischen Elternteil und Kind gehört zum Kernbereich notwendiger zwischenmenschlicher Kontakte.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 1 WF 102/20

Vaterschaftsverfahren

„Der Vater ist immer ungewiss.“

(„Pater semper incertus est.“)

Das ist der Spiegel zu dem lateinischen Rechtssprichwort „Die Mutter ist immer sicher.“ („Mater semper certa est.“). Denn so einfach die - biologische - Mutterschaft naturgemäß feststeht, so grundsätzlich unsicher ist die Vaterschaft.

Entsprechend facettenreich ist daher auch die Antwort auf die Frage: Wer ist eigentlich der Vater eines Kindes?

Im Gesetz findet sich die Antwort in § 1592 BGB. Hier wird der rechtliche Vater definiert als

-           der Mann, der mit der Mutter bei der Geburt des Kindes verheiratet ist,

-           der Mann, der die Vaterschaft rechtswirksam anerkannt hat

            (zB in einer öffentlichen Urkunde) oder

-           der Mann, dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde.

Als biologischer/leiblicher Vater kommt letztlich jeder zeugungsfähige Mann in Betracht, der in der Empfängniszeit mit der Mutter intim gewesen ist, also in der Zeit zwischen dem 300. und dem 181. Tag vor der Geburt des Kindes, vgl. § 1600 d Absatz 3 BGB.

Welche Gründe kann es nun geben, ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren beim Familiengericht anzustrengen?

Erste Voraussetzung ist hier immer, dass es keinen rechtlichen Vater gibt, s.o. Zusätzlich muss ein Antragsinteresse vorliegen.

Dies kann z.B. darin liegen, dass der vermeintliche biologische Vater die Vaterschaft anerkennen möchte, die Mutter dies jedoch verweigert. Ohne Nachweis der Vaterschaft kann der biologische Vater nicht die elterliche Sorge beantragen und auch keinen Anspruch auf Umgang mit dem Kind geltend machen. Hier könnte über ein gerichtliches Verfahren die Vaterschaft überprüft und ggf. festgestellt werden.

Andersherum kann es auch sein, dass die Mutter die Vaterschaft festgestellt wissen möchte, damit sie rechtssicher Kindes- und/oder Betreuungsunterhalt von dem biologischen Vater beanspruchen kann.

In Fällen, in denen ein rechtlicher Vater vorhanden ist, ist kein Raum für ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren. Die Vaterschaft des rechtlichen Vaters kann jedoch in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren angefochten werden.

Es gibt zwei Parameter, die der biologische Vater, der ein solches Verfahren betreiben möchte, zwingend zu beachten hat: einerseits die Anfechtungsfrist und andererseits die Möglichkeit der Erfolglosigkeit des Verfahrens aufgrund einer bereits bestehenden sozial-familiären Bindung zwischen Kind und rechtlichem Vater.

Die Anfechtungsfrist beträgt zwei Jahre ab Kenntnis der vermeintlichen Vaterschaft. Ficht der vermeintliche biologische Vater die Vaterschaft des anderen erst nach dem zweiten Geburtstag des Kindes an, kann es für ihn unter Umständen bereits schwierig sein zu beweisen, dass er um die Möglichkeit seiner Vaterschaft nicht schon vorher wusste.

Noch gravierender ist das Ausschlusskriterium der bereits bestehenden sozial-familiären Bindung zwischen Vater und Kind. Diese Bindung erachtet das Gesetz als äußerst schützenswert und schließt daher ein „Einbrechen“ des vermeintlichen biologischen Vaters in die bestehenden Familienstrukturen weitgehend aus.

Eine sozial-familiäre Verbindung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind lässt sich kaum negieren, wenn Mutter und rechtlicher Vater verheiratet sind oder zusammenleben und das Kind gleichermaßen versorgen und betreuen. Demgegenüber kann eine solche Bindung durchaus in Frage gestellt werden, wenn der rechtliche Vater eine reine „Zahlvaterschaft“ pflegt.

Soweit jedoch bereits eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem (faktischen) Vater besteht, müssen die Erfolgsaussichten einer Vaterschaftsanfechtung durch den biologischen Vater als gering angesehen werden. Denn der Schutz der rechtlich-sozialen Familie durch § 1600 Absatz 2 bis 6 BGB wurde durch das Bundesverfassungsgericht und sogar auf europäischer Ebene durch den Europäischen Gerichtshof bestätigt.

Dem biologischen Vater bleibt dann allein das Recht auf Umgang mit dem Kind.

Neben dem vermeintlichen biologischen Vater könnte auch der rechtliche Vater selbst einen Grund haben, seine Vaterschaft anzufechten. Er könnte z.B. immer davon ausgegangen sein, dass er (auch) der biologische Vater ist, erfährt dann aber, dass die Mutter in der Empfängniszeit eine Affäre hatte. Oder es stellt sich im Rahmen einer medizinischen Untersuchung heraus, dass er zeugungsunfähig ist.

Auch für den rechtlichen Vater gilt die Zwei-Jahres-Frist ab Kenntnis der Umstände, die seine biologische Vaterschaft unmöglich oder zumindest zweifelhaft machen.

Das Anfechtungsbegehren ist zudem nachvollziehbar zu begründen. Allein den Hinweis darauf, dass das Kind ihm überhaupt nicht ähnlich sehe, kann der rechtliche Vater für seine Begründung nicht ins Feld führen.

Hat der rechtliche Vater mit der Anfechtung der Vaterschaft indes Erfolg, so endet seine Unterhaltspflicht, aber auch seine Sorgeberechtigung für das Kind. Unter Umständen entfällt sogar sein Umgangsrecht und muss ggf. über ein Gerichtsverfahren neu erwirkt werden.

Schadensersatzansprüche sind insbesondere gegenüber dem eigentlich Unterhalts-zahlungspflichtigen, dem biologischen Vater, möglich. Diese lassen sich in der Praxis jedoch oftmals schwer durchzusetzen, da der biologische Vater sich möglicherweise gar nicht ermitteln lässt oder er zwar festgestellt werden kann, mit der Schadensersatzleistung jedoch nachweislich finanziell überfordert wäre.

Es gibt viele weitere Fallkonstellationen, in denen eine Vaterschaftsfeststellung oder ‑anfechtung in Betracht kommen kann - sei es auf Veranlassung des rechtlichen Vaters, des biologischen Vaters, der Mutter oder auch auf Veranlassung des Kindes selbst.

Wenn Sie unsicher über die Erfolgsaussicht und die Folgen eines in Betracht gezogenen Vaterschaftsverfahrens sind, stehen wir Ihnen gern mit unserem anwaltlichen Rat zur Seite.

Rechtsanwalt Maeß

Maeß & Heller Rechtsanwälte

 

Wirksamkeitskontrolle eines Ehevertrags bei Depression der Ehefrau

OLG Celle, 07.08.2019, 21 WF 121/19

Die Ehefrau kann sich im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle auf eine subjektive Unterlegenheit bei der notariellen Beurkundung eines Ehevertrags (Scheidungsfolgenvereinbarung) nicht mit der Begründung berufen, dass sie von ihrem Ehemann während der Lebensgemeinschaft mit über Jahre anhaltenden Übergriffen, erniedrigender Schikane und erheblichen Bedrohungen konfrontiert war, die zu einer nach der Trennung diagnostizierten schweren Depression und Panikattacken geführt haben, wenn zwischen der Trennung und der Beurkundung zwei Jahre vergangen sind. Es ist davon auszugehen, dass die Eheleute ihre gegenläufigen vermögensrechtlichen Interessen zu einem angemessenen Ausgleich gebracht haben, wenn sie im Hinblick auf eine bevorstehende Ehescheidung unter anwaltlichem Beistand auf beiden Seiten nach langen Verhandlungen und genügender Überlegungszeit einen Vertrag zur umfassenden Regelung aller Scheidungsfolgen schließen.

Beschluss des OLG Celle vom 07.08.2019, Az.: 21 WF 121/19

  • Die richtige Auswahl des Scheidungsanwalts: knallhart, butterweich oder vielleicht doch ganz anders?

Bernd und Michael treffen sich am Nachmittag im Café. Bernd erzählt seinem Freund, dass seine Ehefrau Katja sich von ihm scheiden lassen möchte. Sie sei auch schon bei einem Anwalt gewesen wegen der Kinder, wegen des gemeinsamen Hauses und wegen des Unterhalts. Katja`s Gründe für die Trennung kann Bernd nicht verstehen. Er ist wütend und verletzt. Er denkt, dass seine Frau ihn ausnehmen will. Und er hat Angst, dass er die gemeinsamen Kinder verliert. Das alles berichtet er seinem Freund Michael. Der fragt: „Und was wirst Du jetzt tun?“ „Na, so einfach kommt die mir nicht davon,“ antwortet Bernd. „Meine Kinder, mein Geld, und dann hat sie bestimmt auch schon einen neuen Typen, der das alles mit abgreift… Ich nehme mir natürlich auch einen Anwalt, und zwar einen knallharten, einen, der rigoros durchgreift und der so richtig auf den Tisch haut!“

So oder so ähnlich mag die Motivation bei manch einem aussehen, dessen Eheleben gerade in Scherben liegt, dessen Traum von einem glücklichen Familienleben gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen ist. Man muss nicht Psychologie studiert haben um zu erkennen, dass diese Art der Motivation von negativen Gefühlen geprägt ist: Angst, Wut, Verzweiflung, der Wunsch nach Vergeltung dafür, dass der andere einem - vermeintlich - das Leben kaputtgemacht hat.

Aber wohin trägt einen das?

Wenn Bernd tatsächlich einen Vertreter der Spezies Anwalt findet, der rigoros „auf den Tisch haut“: Wird dieser Anwalt ihm helfen können, alle im Zuge der Scheidung zu regelnden Angelegenheiten zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen? Wird dieser Anwalt sich darum bemühen, den betroffenen Kindern Eltern zu bewahren, die nicht im ständigen Krieg miteinander stehen? Wohl kaum.

Egal, wie groß Verletzung, Wut oder Enttäuschung sein mögen - der Blick nach vorn sollte über die Wahl des Anwalts entscheiden. Wie soll das Leben aussehen, wenn das Scheidungsverfahren mit all seinen Nebenschauplätzen abgeschlossen ist?

Im Falle von Bernd dürfte es sich so verhalten, dass er trotz der Trennung weiterhin viel Zeit mit seinen Kindern verbringen möchte. Dafür müssten sich die Eltern darüber einig werden, bei wem die Kinder künftig leben werden, bei der Mutter, beim Vater, bei beiden im Wechsel? Möglicherweise müssen Umgangstermine vereinbart werden, Ferienzeiten aufgeteilt werden. Und wo feiern die Kinder ihre Geburtstage, Ostern, Weihnachten?

All diese Themen bedürfen einer guten Kommunikation zwischen den Eltern, wenn sie für die Kinder nicht belastend werden sollen. Nach einer Trennung fällt dies vielen Eltern schwer. Hier mag manches Mal sogar Hilfe von außen angezeigt sein, z.B. in Form der Unterstützung durch eine Familienberatungsstelle, eine Erziehungsberatung oder durch einen Familiencoach. Was getrennte Eltern in dieser Situation aber mit Sicherheit nicht brauchen, ist ein Anwalt, der „auf den Tisch haut“. Hier ist vermittelndes Talent gefragt, Deeskalation statt Konfrontation, ein Gespür für die jeweilige Situation. Darin liegt kein Kleinbeigeben, sondern die Fähigkeit, die Wünsche der Mandantschaft in zielführender Weise weitmöglich zu realisieren. Damit am Ende jeder mit dem Ergebnis gut leben kann, Eltern und Kinder.

Auch im Hinblick auf die finanziellen Angelegenheiten täte Bernd gut daran, einen Anwalt zu Rate zu ziehen, der die andere Seite nicht polternd mit Forderungen überzieht, sondern sich sorgfältig mit den Gegebenheiten auseinandersetzt, durchsetzbare Möglichkeiten aufzeigt und diese in angemessener Weise gegenüber der Gegenseite und notfalls auch vor Gericht kommuniziert.

Bei der Wahl des „richtigen“ Scheidungsanwalts sollten daher eher Kriterien wie Erfahrung, die Fähigkeit zu realistischen Einschätzungen, Feingefühl und Kommunikationsgeschick ausschlaggebend sein - nicht hingegen die Frage danach, welcher Löwe am lautesten brüllt…

Rechtsanwalt Maeß

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